Sexpositive Partys: Expertin sagt Ihnen, was Sie dort erwartet
Quelle: GQ Magazin - von Mimi Erhardt Ich hadere oft mit Berlin, der Stadt, in der ich seit fast neun Jahren zu Hause bin. Weil hier vieles so oberflächlich ist, so viel mehr Schein als Sein, dazu all das eloquente Gequatsche ohne Inhalt, dass einem bodenständigen und von Herzen ehrlichen Kind des Ruhrpotts wie mir an manchen Tagen schwindelig werden könnte. Außerdem haben gerade die Menschen, die man hier gemeinhin als Kreative bezeichnet – mich eingeschlossen – nicht immer alle Latten am Zaun. Würde man jedenfalls im Ruhrpott sagen.
Wofür ich die Stadt an der Spree jedoch liebe, ist ihre Toleranz und Offenheit Neuem gegenüber. Dass sie denen ein Zuhause bietet, die sich zu Hause in der Kleinstadt wie Freaks fühlen. Menschen wie mir also. Bevor ich hierher kam, glaubte ich oft, dass etwas mit mir nicht stimmen kann. Ich fühlte mich zu Jungs wie Mädchen hingezogen, empfand mich trotz meines femininen Aussehens nie als weiblich im klassischen Sinne und merkte nach meinen ersten sexuellen Erfahrungen schnell, dass mir etwas fehlte. Dass ich Dinge ausprobieren wollte, die Freundinnen und Ex-Freunde maximal mit Stirnrunzeln quittierten. Tatsächlich nichts, das heute noch jemanden schockieren würde, doch fand meine sexuelle Sozialisation in den – verglichen mit heute prüden – Neunziger und frühen Nuller Jahren statt, vergessen Sie das nicht. Ich meine, wir hatten damals ja nicht mal Tumblr!
Sexpositiv bedeutet, sich auszuleben und andere nicht zu verurteilen
In Berlin änderte sich das. Ich fand Freunde, die sich in der sexpositiven Szene der Stadt austobten – und mich mitnahmen.
Sexpositiv bedeutet nicht, es überall und mit jedem zu treiben (so eine nicht selten geäußerte Vermutung). Sondern darum, seine und die Sexualität anderer wertfrei anzunehmen und sich damit auseinanderzusetzen, weder sich noch andere für das zu verurteilen, was erregt oder wie man seine eigene Persönlichkeit und den eigenen Körper empfindet. Und es bedeutet, Grenzen anderer zu respektieren, Sex zu zelebrieren – ausschließlich in beiderseitigem Einvernehmen.
Genau diese Gedanken stecken auch hinter den in Berlin so angesagten sexpositiven Partys. Nein, es handelt sich dabei nicht um Sex-Partys. Sondern um Events, bei denen sich die willkommen fühlen sollen, die an anderen Orten nicht erwünscht sind. Weil ihr Äußeres oder ihr Verhalten nicht der gängigen Club-Etikette und dem dazugehörigen Dresscode entspricht. Auf sexpositiven Partys können Sie hingegen auch als Mann im Latexkleid erscheinen oder mit Ihrer Herrin, die Ihnen zur Feier des Tages Nippelklemmen verpasst hat.
Im geschützten Umfeld des Clubs dürfen die Gäste dann durchaus Sex haben, mit sich selbst oder mit anderen. Sofern sie darauf Lust haben. Wenn nicht, ist auch das kein Problem. Tanzen, rumknutschen, stolz seinen Körper oder sein Outfit präsentieren, die Atmosphäre genießen, anderen zuschauen – wie bringt es eine alte Swinger-Weisheit so schön auf den Punkt? Alles kann, nichts muss. Die wichtigste Regel von allen lautet übrigens: Wer ohne zu fragen anfasst, fliegt.
Dresscode: Latex-Suit, Mesh-Body oder Uniform
Das alles klingt nicht nur in meinen Ohren wunderbar. Und so sprießen immer mehr „Kinky Events“ aus dem Berliner Boden. Wen das besonders freut: All diejenigen, die es beim Ausgehen besonders aufregend lieben und vielleicht auch dem hedonistischen Lifestyle frönen, sich in Swinger-Clubs aber nicht heimisch fühlen. Während diesen traditionellen Örtlichkeiten etwas Altmodisches anhaftet, richten sich die neuen Veranstaltungen an ein jüngeres Publikum und die queere Szene, finden in Rave-Schuppen statt und locken neben der kinky Zielgruppe auch die, die gute, elektronische Musik lieben.
Der Dresscode? Latex-Suits, Leder-Harnesse, transparente PVC-Choker, Uniformen, Mesh-Bodys ohne etwas darunter – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Viele der Partys stehen außerdem unter einem Motto, das die Fantasie anregt. Übrigens kommt ein „normales“ Outfit in diesem Rahmen selten gut an. Der Grund dafür ist nicht, wie ebenfalls häufig vermutet wird, dass man „Normalos“ diskriminieren wolle. Sondern dient diese Regel vor allem dem Schutz der Gäste, die in diesen Nächten in Fetisch- und anderer freizügiger Kleidung feiern möchten, und das ausschließlich in der Gesellschaft Gleichgesinnter. Kämen Sie nun in Jeans und Hoodie, wüsste niemand, ob Sie sich nur nicht trauen, sich textil gehen zu lassen oder ob Sie einfach gaffen wollen.
Wer eine sexpositive Party in all ihrem Glanz erleben möchte, muss die Hosen runterlassen. Wenigstens im übertragenen Sinne. Wenn Ihnen Lackshorts und Hundehalsband zu viel (beziehungsweise zu wenig) des Guten sind, dürfen Sie sich auch herantasten. Mit einer schwarzen Lederhose und nacktem Oberkörper zum Beispiel. Trauen Sie sich.
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